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81. Die Pampas - Indianer.
Während ich in Bahia Bianca wartete, war der Platz in bestän-
diger Aufregung wegen der Gerüchte von Kriegen und siegen zwischen
den Truppen des Generals Rosas und den wilden Indiern. Eines
Tages kam die Nachricht, daß ein kleiner Trupp Spanier, der einen der
Posten auf der Linie nach Buenos Ayres bildete, ermordet gefunden
worden sei. Am nächsten Tage kamen dreihundert Männer, unter der
Anführung des Commandanten Miranda. Ein großer Theil davon
waren verbündete Indier. Sie blieben die Nacht hier, und man konnte
kaum etwas Wilderes und Ungezähmteres sehen, als die Scene ihres
Bivouacs. Einige tranken Brantwein, bis sie berauscht waren; andere
das rauchende Blut des zu ihrem Nachtessen geschlachteten Rindviehs,
bald aber gaben sie es, übel von Trunkenheit, wieder von sich und
waren über und über mit Schmutz und Blut bedeckt.
Am Morgen brachen sie nach dem Schauplatz des Mordes auf,
mit dem Befehle, den „Rastro" oder die Fährte zu verfolgen, selbst
wenn dieselbe sie bis nach Chili führte. Wir hörten später, daß die
wilden Indier in die großen Pampas entronnen seien, und aus der
einen oder andern Ursache war ihre Fährte verfehlt. — Ein Blick auf
den Rastro erzählt diesem Volke eine ganze Geschichte. Nehmen wir
an, daß sie die Spur von tausend Pferden verfolgen, so errathen sie
bald die Zahl der Männer, indem sie sehen, wie viele galopiert haben;
nach der Tiefe der Hufeindrücke beurtheilen sie, ob einzelne Pferde bela-
den waren; nach der Weise, wie die Nahrung gekocht worden, ob der
Stamm in Eile reifte; nach dem allgemeinen Änsehen, ob es lange her,
seitdem er vorbeigekommen. Ein Rastro von zehn oder vierzehn "Tagen
ist für sie frisch genug, um verfolgt zu werden. Wir hörten auch, daß
Miranda von dem westlichen Ende der Sierra Ventaera in einer geraden
Linie nach der Insel Eholechel marschirte, die siebenzig Lieues den Rio
Negro hinauf liegt. Dieses ist ein Weg von zwei bis dreihundert Mei-
len und ein völlig unbekanntes Land. Welche andern Truppen der Welt
sind so unabhängig? Die Sonne ist ihr Führer, Stutensleisch ihre
Nahrung, Satteldecken ihre Betten; so lange sie Wasser haben, können
diese Menschen bis zum Ende der Erde dringen.
Einige Tage später sah ich einen andern Trupp dieser banditen-
gleichen Soldaten gegen einen Indierstamm ausbrechen, der von einem
gefangenen Kaziken verrathen worden war. Der Spanier, der die Be-
fehle für diesen Zug brachte, war ein sehr einsichtiger Mann. Er gab
mir einen Bericht von dem letzten Treffen, bei dem er zugegen gewesen.
Einige gefangene Indier gaben Nachricht, von einem nördlich vom Colo-
rado lebenden Stamme. Es wurden zweihundert Soldaten abgeschickt,
und diese entdeckten die Indier zuerst an der Staubwolke, welche die
Füße ihrer Pferde verursachten ; denn der Zug war gerade auf der Reise
begriffen. Das Land war wild und gebirgig und lag weit im Innern,
denn man erblickte die Cordilleren. Die Indier, Männer, Weiber und
Kinder, waren ungefähr hundert und zehn an der Zahl, und beinahe
alle wurden gefangen genommen oder getödtet. Jetzt sind die Indier so
in Furcht gejagt, daß sie in Masse keinen Widerstand leisten; jeder flieht
und vernachlässigt selbst Weib und Kinder; aber werden sie eingeholt,
so fechten sie mit der Wuth wilder Thiere gegen jede Anzahl bis zum
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Extrahierte Personennamen: Bianca Rosas Miranda Miranda
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eigenthümliche Weise seines Volkes, nämlich den einen Arm um den
Hals des Pferdes und nur ein Bein auf seinem Rücken. So auf einer
Seite hängend, streichelte er bald den Kopf des Thieres, bald feuerte er es
mit lautem Zuruf an. Die Verfolger boten alle Kräfte auf, der Comman-
dant wechselte dreimal sein Pferd; aber vergebens. Der alte Indier
entkam mit seinem Sohne, und sie waren frei. Ein schöner Gegen-
stand für ein Bild: die nackte, braune Gestalt des alten Mannes mit
seinem Knaben, wie Mazeppa auf einein weißen Pferde reitend, und
weit alle Verfolger hinter sich lassend.
Nach Ch. Darwin von E. Dieffenbach.
82. Die Hunnen.
Die Hunnen waren ein furchtbares und häßliches Geschlecht,
Deutschen, Griechen und Römern ein gleicher Abscheu. Die Beschrei-
bung, die Ammianus und Iornandes von ihrer Gestalt, ihrem Leben
und ihrer Weise machen, hat allerdings das Ansehn mancher Uebertrei-
bung; sie hat indeß darum geschichtlichen Werth, weil mit Gewißheit
vorauszusetzen ist, daß sie noch immer hinter der Vorstellung zurückbleibt,
die unter den Völkern herrschte, und weil sie von dem Eindrucke zeuget,
den die Hunnen auf die Deutschen wie auf die Griechen und Römer
gemacht hatten. Nach dieser Beschreibung aber hatte das Gesicht der
Hunnen das Ansehen eines Klumpens; die Augen waren wie kleine
Löcher; die Wangen voll knotiger Narben, weil sie in der Kindheit auf-
gerissen wurden, um das Wachsen des Bartes zu verhüten; der Nacken
steif und stolz; die Glieder des Leibes kurz und gedrungen, in Thierfelle
gehüllt, das Rauhe nach außen gekehrt, vom Kopfe bis zur Sohle.
Immer saßen sie auf ihren kleinen zähen Rossen, wie wenn sie mit den-
selben zusammengewachsen wären. Auf denselben verrichteten sie alle
Geschäfte: sie kauften und verkauften, nahmen Speise und Trank, und
pflogen gemeinsamen Rath. Wenn sie ruhen wollten, so legten sie sich
vorwärts auf den Hals derselben und überließen sich unbesorgt dem
Schlafe. Ihre Nahrung waren die Wurzeln wilder Kräuter und das
Fleisch jegliches Thieres. Dieses Fleisch, durch die Jagd gewonnen,
legten sie, wie einen Sattel, auf den Rücken des Pferdes und ritten es
mürbe mit ihren Schenkeln: Feuer und Würze brauchten sie nicht zu
der Zubereitung. Ihr Kleid wechselten sie nicht anders, als wenn es vor
Alter in Fetzen vom Leibe fiel. Von Anständigkeit und Schicklichkeit hatten
sie keinen Begriff, und keine Vorstellung von Religion. Ihre Weiber
saßen auf dem Karren; auf demselben wurden die Kinder geboren, auf
denselben genährt, bis die Knaben dem Vater folgten und die Mädchen
in die Stelle der Mutter traten. Nach Gold hatten sie die heftigste
Begierde, und ein brennendes Verlangen nach Raub. Ihre Laute waren
einer menschlichen Sprache kaum ähnlich. Wandelbar, wie ihre Lebens-
art, war ihre Gesinnung; auf ihr Wort durfte Niemand rechnen, und
leicht war ihr Zorn entflammt. Lanzen, Pfeil und Bogen waren ihre
Waffen; die Spitze ein scharfer Knochen. Auch hatten sie Schlingen,
die sie mit Geschicklichkeit über den Feind zu werfen verstanden, Jm'ifm
wehrlos zu machen. In Schnelligkeit und Ausdauer bestand ihre Stärke.
Darum zogen sie der Vertheidigung den Angriff vor. Keilweise drangen
sie heran; in der Nähe des Feindes löseten sie sich auf, und umzogen
Masius Leseb. Ii. 4. Aufl. 14
TM Hauptwörter (50): [T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
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den kühnen Gedanken, sie in einem Stück auszuführen. Diejenigen,
welche dreißig■ oder vierzig Centner flüssiges Metall haben Herausstürzen
sehen, sind vielleicht erschreckt zurückgebebt beim Anblick des feurigen
Stromes. Aber vierhundert Centner waren für diesen Theil der Statue
erforderlich; und wie gewaltig das Unternehmen, kann aus der That-
sache entnommen werden, daß bis jetzt nie mehr als dreihundert Centner
auf einmal einen Schmelzofen gefüllt hatten.
Aber sieh! die Masse beginnt langsam zu schmelzen, mächtige
Trümmer von Kanonen schwimmen auf der Oberfläche gleichwie Kähne
auf dem Wasser, und verschwinden dann allmählich wieder. Bald darauf
sieht man zu oberst der Masse eine Kruste sich bilden, die sowohl dem
Schmelzofen, als auch dem Modell, das bereit ist, die flüssige Bronze
in sich aufzunehmen, mit Gefahr droht. Um zu verhindern, daß diese
Rinde sich bilde, sind sechs Männer Tag und Nacht unausgesetzt damit
beschäftigt, den Lavastrom mit langen, eisernen Stangen umzurühren,
aber von Zeit zu Zeit müssen sie sich zurückziehen, um durch andere
ersetzt zu werden; denn ungeachtet der eingenäßten Bedeckungen sprengt
die sengende Hitze die Haut, wie die getrocknete Rinde eines Baumes.
Immer noch wurde der Kessel umgerührt, immer noch wurde das Feuer
zu neuen Anstrengungen angeschürt, aber das Metall war noch nicht
ganz bereit, so daß man es hätte fließen lassen können. Stunde für
Stunde verging, der Tag war vorüber und die Nacht kam heran. Fünf
Tage und vier Nächte lang ward das Feuer unterhalten und zur äußer-
sten Heftigkeit angetrieben, und noch konnte Niemand sagen, wie lange
dies fortdauern würde. Die Männer arbeiteten schweigend weiter an
ihrer ungeheuren Aufgabe; die furchtbare Hitze nahm zu und immer zu,
als ob sie nie wieder enden wollte. Ein schreckliches Gewicht lag in
der brennenden Luft und lastete schwer auf den Gemüthern, am
schwersten aber aus dem Gemüthe dessen, der dieses kühne Unternehmen
geleitet hatte.
Seit fünf Tagen hatte der Meister den Platz nicht verlassen, son-
dern, wie ein Columbus auf das stündlich erwartete Land passend, sah
er dem letzten entscheidenden Moment entgegen. Am Abende des fünften
Tages behauptete die erschöpfte Natur ihr Recht und verlangte nach
Ruhe; so setzte er sich denn hin, um zu schlafen. Kaum hatte er seine
Augen geschlossen, als seine Frau ihn mit dem erschreckenden Schrei
aufweckte: „Wach auf, wach auf! die Gießerei brennt!" — Und so
war es auch. Nichts konnte solch fürchterliche Hitze aushalten und ihr
Widerstand leisten. Die Balken des Gebäudes fingen an zu brennen.
Das Feuer auf die gewöhnliche Weise zu löschen, war unmöglich; denn
wäre irgend eine kalte Flüssigkeit mit dem flüssigen Metall in Berührung
gekommen, — die Folgen davon wären schrecklich gewesen. Der Schmelz-
ofen würde vernichtet worden sein und vierhundert Centner Bronze waren
verloren. Daher bedeckte man die brennenden Balken mit nassen
Tüchern, um die Flammen jn stillen. Aber auch die Wände glühten;
das ganze Gebäude glich jetzt einem ungeheuren Schmelzofen. Gleich-
wohl noch mehr Brennmaterial auf das Feuer, die Hitze ist noch nicht
groß genug; das Metall kocht noch nicht! Obwohl die Balken brennen
und die Wände glühen, dennoch schürt, nährt und treibt das Feuer noch
mehr an! — Endlich ist der Moment da! — Die ganze Masse kocht!
Nun ruft der Metallgießer von München, Namens Miller, den Man-
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Nächte des Februar mußten größtenteils unter freiem Himmel zugebracht
werden.
Am 26. Februar 1266. als die Franzosen den Gipfel eines vor
ihnen liegenden Bergrückens erreicht hatten, erblickten sie aus einmal das
Ziel ihrer mühsamen Wanderung, die Ebene von Benevent; gleichzeitig
aber auch das wohlgeordnete Heer König Manfreds. Sogleich wurde
laut und mit großem Eifer verhandelt: ob man dasselbe ohne Verzug
angreifen, oder die Schlacht bis zum folgenden Morgen verschieben follé.
Nicht Wenige vertheidigten das Letztere. Noch Mehrere aber sprachen:
„Wir müssen auf der Stelle angreifen, denn heute haben wir doch noch
etwas gegessen; morgen dagegen fehlen die Lebensmittel vielleicht ganz.
Und wer darf überhaupt geordnete Feinde muthlos aus der Ferne beob-
achten? Ein plötzlicher Angriff wird sie überraschen, erschrecken und den
Sieg erleichtern." Als man hiergegen noch einige Zweifel erhob, rief
Giles le Brun, Connetable von Frankreich: „Thut ihr Andern, was
ihr wollt; ich werde, und wäre ich auch ganz allein, im Namen der
heiligen christlichen Kirche angreifen und mit ihrer Hülfe gewiß siegen."
Als der König Karl diesen Eifer sah. sprach er von einem Hügel
zu den Versammelten: „Der Tag der Schlacht, welchen wir alle herbei-
wünschten, ist endlich gekommen'; wir müssen siegen oder sterben! Denn
nur weil wir siegten, haben uns die Städte und Völker Italiens äußer-
lich ehrenvoll ausgenommen; werden wir besiegt, so bricht unfehlbar ihr
innerer Haß und ihre gewohnte Treulosigkeit dergestalt hervor, daß Keiner
von uns den offenen Angriffen und heimlichen Nachstellungen entgeht,
kein Einziger die ferne Heimath glücklich wieder erreicht. Besser also, wir
sterben alle ehrenvoll und in derselben Stunde, als daß wir elendiglich
und vereinzelt umkommen auf schmachvoller Flucht. Fürchtet eure Feinde
nicht: bei Ceperano, bei S. Germano flohen sie feige, woher sollte
ihnen setzt der Muth kommen? Ihr seid aus einem Volke, dessen
Name in aller Welt furchtbar geworden ist und jedem fremden Volke als
ein zermalmender Hammer erscheint; sie dagegen sind weder Eines
Stammes, noch Eines Landes. Wir fechten als gute Christen, begleitet
vom Segen der Kirche, und für eine heilige Sache; sie sind nicht einmal
desselben Glaubens, von Sünden zu Boden gedrückt und der Verdamm-
niß verfallen."
Dieser Anrede folgten auch einige nähere Befehle des Königs über
die Art und Weise zu fechten; hieraus gab er Mehreren den Ritterschlag
als Belohnung für vollbrachte, als Ermunterung zu künftigen Thaten;
endlich ertheilte der Bischof Guido von Auxerre, als päpstlicher Bevoll-
mächtigter, feierlich Allen die Lossprechung von ihren Sünden, sofern sie
als Buße den Kampf mit den Feinden siegreich vollführten.
Gleicherweise fanden in Manfreds Heere Ueberlegungen statt, ob
man sogleich schlagen müsse oder nicht. Unvortheilhast erschien jenes,
weil der König noch Verstärkungen erwartete, und weil die Franzosen
ohne Schwertstreich vor Hunger umkommen müßten, wenn man im
Stande sei, sie nur noch ein paar Tage in diesen Gegenden festzuhalten.
— Für den Angriff sprach anderseits der schon erwähnte Umstand, daß
der Kampf mit den jetzt Ueberraschten. Hungrigen und Ermüdeten leich-
ter sei, als in irgend einem andern Augenblick, und daß man die Ver-
wüstung des Vaterlandes ohne Schande nicht einen Tag länger dulden
dürfe. Zu diesen Gründen aber kamen noch manche unreine und geheime;
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Extrahierte Personennamen: Manfreds Giles_le_Brun Karl Karl Guido_von_Auxerre Manfreds
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tischen und raubgierigen Schaaren. Schon wälzte sich die Masie heran,
drohend, wie ausgethürmte Wetterwolken, und ihren Weg durch Zerstö-
rung bezeichnend. — Dort, wo Europas und Asiens Küste sich zweimal
einander nähern und zwischen den beiden gewundenen Engen sich maje-
stätisch der breite Spiegel der Propontis ausdehnt; wo der Wanderer,
von den lieblichsten Erinnerungen der Dichtung umgeben, m feierlicher
Stimmung die Pracht der Natur und der Menschenwerke anstaunt, dort
am Eingänge der Meerenge steht, wie das alte Rom von sieben Hügeln
herab über zwei Welttheile hinschauend, das weitschimmernde Konstan-
tinopel. Auf zwei Seiten von den Fluthen bespült und auf der dritten
durch Kunst und kühnes Bollwerk vertheidigt, hatte es der Macht des
Kosroös, der Kalifen und mehr als Eines barbarischen Volkes getrotzt.
Aber der Strom der Jahrhunderte, stärker als der vorübergehende Stoß
der Waffen, hatte die gigantischen Mauern und Thürme untergraben,
und was unbezwinglich war den einfachen Maschinen der früheren Bela-
gerung, das mußte den neu ersonnenen Werkzeugen der Zerstörung unter-
liegen.
Igegen die vereinte und immer sich erneuende Macht des sogenann-
ten türkischen Reichs, gegen die wüthenden, unablässigen Angriffe eines
unabsehbaren Heeres und einer mächtigen Flotte sah sich Konstantin,
ohne Hoffnung eines Beistandes, auf die Hülfsquellen seines eigenen
Geistes beschränkt und auf den Arm von nicht 10,000 Streitern. Die
Mächte Europas waren unbewegt von seiner Noth geblieben. Furcht
hielt die eine, die andere Verblendung, gehässige Leidenschaft oder kurz-
sichtiger Eigennutz von der dringenden Hülfe ab. Zwar noch stand es
bei dem Kaiser, durch Unterwerfung sein Leben und vielleicht durch die
Gnade des Siegers selbst Wohlleben zu erkaufen; aber er, der erste
unter den Römern an Rang und Geist, achtete es seiner und des römi-
schen Namens würdiger, der Nachwelt ein großes Beispiel von Helden-
sinn zu hinterlassen. „Weil aber weder das Vorhalten deiner früheren
Eide, noch meine äußerste Nachgiebigkeit dich entwaffnen kann," antwor-
tete der christliche Fürst auf des Sultans übermüthige Aufforderung, „so
beharre in deinem verbrecherischen Beginnen. Wenn der Herr die Stadt
in deine Hände liefert, so werde ich in seinen heiligen Willen ohne Mur-
ren mich fügen; aber so lange Gott nicht zwischen uns entschieden hat,
ist es meine Pflicht, zu streiten für Reich und Ehre." — Schon 52
schreckliche Tage waren über die Bürger von Konstantinopel hingegangen.
In den Donner des Geschützes mischte sich das Jammern der Angst und
des Schreckens; durch die Stille der Nacht tönte das Aechzen der Ver-
wundeten, das Wehklagen der Verwaisten. Was half es den tapferen
Streitern, daß ihr Schwert der Türken Schaaren fraß! Die Lücken füll-
ten sich bald auf's Neue, und der glänzende Erfolg ward allzu theuer
erkauft. So schwand allmählich die Hoffnung, und Mohamed, da er
die Thürme durch sein Geschütz zertrümmert, die Mauern zerbrochen sah,
erließ den Befehl zum allgemeinen Sturm. In der Nacht sollten die
Zubereitungen geschehen. Die Christen sahen weithin an beiden Gesta-
den unzählige Wachtfeuer lodern und das Meer von vielen Leuchten her-
anrudernder Schiffe glänzen, ein großes, prachtvolles, schreckliches Unglück
weissagendes Schauspiel. Dazu oer dumpfe Ton der sich bewegenden'und
drängenden Heerschaaren, das tausendfache Klirren der Waffen, und
bald, mit dem ersten Morgenstrahl, der laute Donner des Geschützes,
22*
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Konstantin Mohamed
Extrahierte Ortsnamen: Europas Asiens Europas Konstantinopel
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das Prasseln hundertfältiger Zerstörungswerkzeuge und das hunderttau-
sendstimmige Schlachtgewühl blutdürstiger Krieger. — Nicht unvorbereitet
waren die' Griechen: Konstantin hatte des Feindes Bewegung erspäht.
Er rief in der Mitternachtsstunde seine Verwandten, seine Freunde und
die Edelsten der Nation aus die Burg, um seine eigene Todesverachtung
durch Feuerworte iu ihre Seele zu hauchen. Er beschwor sie bei Roms
heiligem Namen und den Erinnerungen, die ihn umschwebten; ermahnte
sie, das Urtheil der Welt und Nachwelt zu scheuen; zeigte ihnen, daß
dieses die Stunde sei, die über ihr und der Ihrigen Leben, Freiheit
und Glück, über des Reiches Fortdauer oder Zerstörung unwiderruflich
entscheiden müsse, und was Religion, Pflicht und Ehre von ihnen als
Christen, Brüdern und Männern heische. Sie umarmten sich, weinten,
schwuren zu sterben fürs Vaterland, und jeder ging an seinen Posten
mit dem Entschlüsse, des römischen Namens würdig zu bleiben; aber der
Kaiser, in dessen Gemüth die Hoffnung erloschen war, die er bei seinen
Freunden zu entzünden gesucht hatte, begab sich in den Sophien-Tem-
pel, um das heilige Abendmahl zu empfangen, und von da flog er auf
den äußersten Wall, um unter seinen Bürgern bis zum letzten Augen-
blick die Pflichten des Feldherrn und des gemeinen Kriegers zu erfüllen
und dann zu sterben.
Schon hatte der ungleiche Kampf begonnen, schon war der Tod
umhergegangen unter tausend Gestalten. Land und Meer rötheten sich
von Blut. Doch was bekümmerte dies den Sultan! Er hatte Streiter
genug, um mit ihren Leichen die tiefen Gräben Konstantinopels auszu-
füllen und dann erst über sie hin den Weg zum Siege zu betreten. Noch
waren, nach zweistündigem Gemetzel, die Griechen von keinem Punkte
gewichen; aber ihr Arm fing an, vom Schlachten müde zu werden, und
jetzt führte Mohamed den Kern seiner Truppen, die Ianitscharen, frisch
in den Sturm. In diesem verhängnißvollen Augenblicke wurde der
tapfere und kriegskundige Iustiani, Befehlshaber der kleinen abendlän-
dischen Hülfsschaar und vom Kaiser zum Oberanführer des ganzen Heeres
erhoben, von einem Pfeile verwundet. Gewohnt, dem Tode zu trotzen,
konnte er doch dem Schmerz seiner Wunde nicht widerstehen; er floh gegen
die Stadt, um sich verbinden zu lassen. Da rief der Kaiser, dessen
Blicke überall waren, ihm zu: „Freund, deine Wunde ist leicht und die
Gefahr dringend. Du bist hier nothwendig, und wohin willst du flie-
hen?" — „Hierdurch will ich mich retten, wo Gott selbst den siegreichen
Türken den Weg gebahnt hat," sprach der vom Schmerz überwältigte
Mann und drängte sich durch einen Riß der Mauer in die Stadt. Biele
seiner Landsleute folgten ihm, und Konstantinvpel war verloren. Ueber-
mannt, zurückgedrängt von den Außenwerken, flohen die Griechen gegen
die innere Mauer. Schon vernahmen die zitternden Bürger das sieg-
reiche Allah! und schon war Konstantinopel nicht mehr. Nur wo der
Kaiser stand, war noch ein Kampf gewesen. Die. Edelsten und Besten
seines Reichs drängten sich um ihn. Er bat sie, ihn zu tödten, daß er
nicht lebend in der Ungläubigen Hände falle, und warf den Purpur weg,
um unerkannt unter seinen Mitstreitern zu fallen. Alle starben hier den
männlichen Tod, aber kein Feind rühmte sich, den Kaiser getödtet zu
haben: sein Körper lag unter seinen erschlagenen Gefährten, und ringsum
thürmte sich ein Hügel von feindlichen Leichen. Soll ich die Schrecknisse
schildern, die jetzt folgten? das Angstgeschrei der Fliehenden, die Streiche
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353
keine besseren Anstalten gemacht, den wahren Zustand der Brücke in
Erfahrung zu bringen; und da man die Flotte bei Lillo, des günstigen
Windes ungeachtet, gar keine Bewegung machen sah, so bestärkte man
sich in der'vermuthung, daß die Brander nichts ausgerichtet hätten.
Niemand fiel es ein, daß eben diese Unthätigkeit der Bundesgenossen,
welche die Antwerper irre führte, auch die Seeländer bei Lillo zurückhal-
ten könnte, wie es sich auch in der That verhielt. Einer so ungeheuren
Inconsequenz konnte sich nur eine Negierung schuldig machen, die ohne
alles Ansehen und ohne alle Selbständigkeit Rath bei der Menge holt,
über welche sie herrschen sollte. Je unthätiger inan sich indessen gegen
den Feind verhielt, desto heftiger ließ man seine Wuth gegen Giambellt
aus, den der rasende Pöbel in Stücken reißen wollte. Zwei Tage schwebte
dieser Künstler in der augenscheinlichsten Lebensgefahr, bis endlich am
dritten Morgen ein Bote von Lillo, der unter der Brücke hindurchge-
schwommen, von der wirklichen Zerstörung der Brücke, zugleich aber auch
von der völligen Wiederherstellung derselben bestimmten Bericht abstattete.
Diese schleunige Ausbesserung der Brücke war ein wahres Wunder-
werk des Herzogs von Parma. Kaum hatte sich dieser von dem Schlage
erholt, der alle seine Entwürfe darniederzustürzen schien, so wußte er mit
einer bewundernswürdigen Gegenwart des Geistes allen schlimmen Fol-
gen desselben zuvorzukommen. Das Ausbleiben der feindlichen Flotte in
diesem entscheidenden Augenblicke belebte auf's Neue seine Hoffnung.
Noch schien der schlimme Zustand seiner Brücke den Feinden ein Geheim-
niß zu sein, und war cs gleich nicht möglich, das Werk vieler Monate
in wenigen Stunden wieder herzustellen, so war schon Vieles gewonnen,
wenn man auch nur den Schein davon zu erhalten wußte. Alles mußte
daher Hand ans Werk legen, die Trümmer wegzuschaffen, die umge-
stürzten Balken wieder auszurichten, die zerbrochenen zu ersetzen, die
Lücken mit Schiffen auszufüllen. Der Herzog selbst entzog sich der Arbeit
nicht, und seinem Beispiele folgten alle Officiere. Der gemeine Mann,
durch diese Popularität angefeuert, that sein Aeußerstes; die ganze Nacht
durch wurde die Arbeit fortgesetzt, unter dem beständigen Lärm der Trom-
peten und Trommeln, welche längs der ganzen Brücke vertheilt waren,
um das Geräusch der Werkleute zu übertönen. Mit Anbruch des Tages
waren von der Verwüstung der Nacht wenige Spuren mehr zu sehen,
und obgleich die Brücke nur dem Scheine nach wieder hergestellt war, so
täuschte doch dieser Anblick die Kundschafter, und der Angriff unterblieb.
Mittlerweile gewann der Herzog Frist, die Ausbesserung gründlich zu
machen, ja, sogar in der Structur der Brücke einige wesentliche Verän-
derungen anzubringen. Um sie vor künftigen Unfällen ähnlicher Art zu
verwahren, wurde ein Theil der Schiffbrücke beweglich gemacht, so, daß
derselbe im Nothfalle weggenommen und den Brandern der Durchzug
geöffnet werden konnte. Den Verlust, welchen er an Mannschaft erlitten,
ersetzte der Herzog durch Garnisonen aus den benachbarten Plätzen und
durch ein deutsches Regiment, das ihm gerade zu rechter Zeit aus Gel-
dern zugeführt wurde. Er besetzte die Stellen der gebliebenen Officiere,
wobei der spanische Fähnrich, der ihm das Leben gerettet, nicht ver-
gessen wurde.
Die Antwerper, nachdem sie den glücklichen Erfolg ihres Minen-
schiffs in Erfahrung gebracht, huldigten nun dem Erfinder desselben eben
so leidenschaftlich, als sie ihn kurz vorher gemißhandelt hatten, und
Masius Leseb. Ii. 4. Stufi. 23
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer]]
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römisches Heer eine Niederlage. Die Nachricht davon brachte das Bela-
gerungsheer vor Veji in Schrecken und Verwirrung, zumal da man gleich-
zeitig vernahm, jene siegreichen Völker zögen, verstärkt durch die gesamte
junge Mannschaft Etruriens, zur Entsetzung der bedrängten Stadt her-
bei. Nur mit Mühe ließ sich das Kriegsvolk abhalten, das Lager zu
räumen.
Noch beunruhigendere Gerüchte wurden in Nom geglaubt: das
Lager vor Veji werde bestürmt, ein Theil der Feinde sei in drohendem
Anzuge gen Rom selbst. Die Männer eilten auf die Mauern, die Frauen
in die Tempel, zu den Göttern flehend: das ihnen zugedachte Verderben
gegen Veji zu wenden. Der Senat oder hoh§ Rath aber — wie es nur
in Zeiten höchster Gefahr zu geschehen Pflegte — schritt zur Wahl eines
Dictators.
Die Zulassung der Dictatur war das Aeußerste, wozu ein auf die
Bewahrung seiner bürgerlichen Freiheit so eifersüchtiges Volk, wie das
römische, sich entschließen konnte. Nur in den dringendsten Fällen, welche
die volle Kraft und Einheit der vollziehenden Gewalt erforderten, wagte
man die gesamte Leitung des Staates in die Hände Eines Mannes zu
legen, und so zu sagen das Königthum auf eine kurze Frist, welche sechs
Monate nicht überschreiten durfte, wieder herzustellen. Die Macht des
Dictators war eine fast unumschränkte. Alle obrigkeitlichen Aemter, mit
Ausnahme desjenigen der Volkstribunen oder der Vertreter der Volks-
rechte, wurden bei der Wahl eines Dictators aufgehoben. Beides, der
Heerbefehl wie die innere Verwaltung, war dem Dictator übertragen.
Er hatte Gewalt über Leben und Tod. Dicrundzwanzig Victoren oder
Gerichtsdiener schritten mit den Beilen und Ruthenbündeln, den bekann-
ten Zeichen der obrigkeitlichen Strafgewalt, vor ihm her. Doch durfte
er selbst nie zu Rosse innerhalb der Stadt erscheinen, Italien nie ver-
lassen, die öffentlichen Gelder nicht nach Willkür verwenden, und mußte
nach Niederlegung seines Amtes einer Rechenschaft über seine Verwaltung
gewärtig sein.
Zu dieser außerordentlichen und höchsten Würde, welche einem
römischen Bürger erreichbar war, wurde Marcus Furius Camillus
erhoben. Er stammte aus dem Hause der Furier, einem patricischen,
d. h. adeligen Geschlechte, dessen bis dahin unberühmten Namen er
zuerst zu einem hochgefeierten machte. Keine Wahl hätte glücklicher sein
rönnen, als diese! Alles änderte sich wie mit einem Male, seitdem
dieser Führer das Ruder des Gemeinwesens ergriffen hatte: neue Hoff-
nungen, neue Gesinnungen der Menschen, auch das Glück der Stadt
erschien ein anderes.
Seine erste Amtshandlung war die, daß er alle, welche in Folge
jener Entmuthigung aus dem Lager vor Veji geflohen waren, zur
Strafe zog und das soldatische Bewußtsein wieder herstellte: schrecklicher
als der Feind sei die Schande. Dann eilte er selbst in das Lager, um
die Gemüther zu ermuthigen. Nach seiner Rückkehr schritt er zur Aus-
hebung des neuen Heeres. Nicht Einer versuchte sich dem Kriegsdienste
zu entziehen. Selbst die Jugend des Auslandes, Latiner und Herniker,
boten ihre Dienste zu diesem Kriege an.
Nachdem Camillus alle menschlichen Vorkehrungen getroffen hatte,
rief er feierlich den Beistand der Götter an und gelobte, wenn dieser
Krieg ein rühmliches Ende gewänne, „die großen Spiele" zu veranstal-
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ten, welche dem Jupiter, der Juno und Minerva zu Ehren mit Wett-
rennen gefeiert wurden, und der Mutter Matuta, d. i. der Göttin
des Frühroths, einen Tempel zu weihen. Mit Recht! denn diese Heer-
fahrt war das Frühroth eines langen Heldenlaufs.
Eröffnet wurde der Feldzug damit, daß Camillus das Heer gegen
die Falisker und Capenaten führte. Er schlug sie auf's Haupt und
benahm dadurch den Vejentern jede fernere Hoffnung auf eine ihnen von
außen kommende Hülfe. Hierauf rückte er vor Desi. Da^erlchchald
überzeuge, daß mit offenem Angriffe der Stadt nicht beizukommen sei,
griff er zu Mitteln der Kunst. Er nurchte den unnützen Scharmützeln,
welche häufig zwischen Mauer und Wall stattfanden, ein Ende, indem
er den Soldaten verbot, ohne Befehl sich in einen Kampf einzulassen,
und lenkte dagegen alle' Kräfte aus die Belagerungsarbeiten. Das Erd-
reich umher bot dem Spaten keine großen Schwierigkeiten, so daß sich
Minen und unterirdische Gänge in eine Tiefe führen ließen, die dem
Feirlde unbemerkbar blieb. Mit Eifer betrieb Camillus die Vollendung
einer Mine, welche man nach der Burg der Stadt zu führen begonnen
hatte. ^Damit dieses Werk nicht durch Ermüdung der Arbeiter unter-
brochen würde, theilte er die Schanzgräber in sechs Abtheilungen, wies
einer jeden sechs Stunden zur Arbeit an und ließ weder Tag noch
Nacht einen Stillstand eintreten, bis der verborgene Gang unter die
Burg gelangt war.
Die Stadt hing jetzt über den Häuptern der Angreifenden wie eine
reise Frucht am Zweige, die nur noch eines kleinen Anstoßes bedurfte,
um ihnen in die Hände zu fallen. Der Senat ließ in Rom ausrufen,
wer an der vejentischen Beute Antheil nehmen wolle, möge zum Dictator
gehen. Eine ungeheure Menge brach auf und erfüllte das Lager.
Camillus befragte die'himmelszeichen, und da sie Gunst ver-
sprachen, hieß er die Waffen ergreifen und ausrücken. Während das
Heer des Zeichens zum Angriff harrete, erhob der Dictator seine Hände
zum Gebet und sprach: „Unter deiner Führung, pythischer Apoll, und
von deinem Geiste angetrieben, ziehe ich aus, um die Stadt Veji zu
zerstören; und ich gelobe dir den Zehnten von aller Beute. Zugleich bete
ich zu dir, Königin Juno, die du jetzt Veji bewohnst: daß es dir gefal-
len möge, uns den Siegern zu folgen in unsere Stadt, welche bald die
deiniae sein wird, wo dich ein deiner Hoheit würdiger Tempel empfan-
gen soll."
Nach diesem Gebete griff er die Stadt, wie es ihm bei dem Ueber-
fluß an Streitkräften möglich war, zu gleicher Zeit von allen Seiten an,
damit die Vertheidiger um so weniger auf die Gefahr, welche sie von
dem unterirdischen Gange her bedrohte, achten könnten.
Die Vejenter waren voll guter Zuversicht, diesen unvermutheten
Angriff gleich allen vorigen mit Nachdruck zurück zu schlagen. Ohne
Ahnung, daß sie auf betrüglichem Boden stünden und der Tod schon
unter ihren Füßen nach ihnen ausgreife, eilten sie jeder seines Orts nach
den Mauern, nur darüber verwundert, warum doch, nachdem so viele
Tage lang kein Römer sich auch nur über die Posten hinausgewagt, sie
aus einmal, wie von plötzlicher Wuth ergriffen, so unbedachtsam gegen
die Mauern anliefen. Aber während des allgemeinen Kampfes um die
Stadt her hatte sich der unterirdische Gang mit auserwähltem Kriegsvolk
angefüllt und spie plötzlich die Bewaffneten in den auf der vejentischen
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Burg befindlichen Tempel der Juno aus. Diese Mine war für Veji
jenes verhängnisvolle Pferd, welches das alte Troja zum Fall gebracht.
Aus seinem Verstecke hervorbrechend»griff ein Theil der Eingedrungenen
die Vertheidiger der Mauern im Rücken an, ein Theil reißt die Riegel
der Thore auf, ein anderer, da die Weiber und Sklaven Steine und
Ziegel von den Dächern schleudern, steckt die Häuser in Brand. Die
ganze Stadt widerhallt von verworrenen Stimmen, vom drohenden
Kriegsruf der Angreifenden, vom Wehgeschrei der Bedrängten und der
Flüchtlinge, vom Geheul der Weiber und Kinder. In kurzer Frist sind
die Streiter überall von den Mauern geworfen, die Thore geöffnet, und
während die Römer theils in hellen Haufen hereinstürmen, theils die
verlassenen Mauern erklimmen, füllt sich die Stadt mit Feinden; an
allen Orten wird gekämpft. Endlich, nachdem ein großes Blutbad ange-
richtet und der Widerstand allerorten überwältigt ist, ermattet der Kumps
wie ein niederbrennendes Feuer, und Herolde schreiten durch die Gassen:
der Dictator gebiete, die Wehrlosen zu schonen. Damit hat das Blut-
vergießen ein Ende. Die Wehrlosen übergeben sich der Gnade der Sie-
ger, das Kriegsvolk zerstreut sich zur Plünderung in die Häuser.
Die Beute war unermeßlich. Camillus, welcher von der Burg
aus der Plünderung zusah, brach in Thränen aus; und als die Umste-
henden ihn wegen dieses Tages glücklich priesen, hob er seine Hände gen
Himmel und betete: „Großer Jupiter, und ihr übrigen Götter, die,,ihr
auf die guten und bösen Handlungen der Menschen Acht habt: ihr wisset
selbst, daß wir Römer nicht wider Recht, sondern aus Nothwehr gegen
diese feindselige und gottlose Stadt ausgezogen sind. Ist uns aber doch
für dieses gegenwärtige große Glück ein Unglück zu unserer Demüthigung
zugedacht, so bitte ich, lasset es an Rom und seinem Heere vorüber-
gehen und, so viel es möglich ist, mit dem gelindesten Wehe über mich
kornmen." Als er dieses gesprochen, wollte er, wie die Römer nach
verrichtetem Gebet zu thun pflegten, rechts umwenden, und fiel ans
Versehen zu Boden, was die Anwesenden als eine üble Vorbedeutung
sehr betroffen rnachte. Er aber richtete sich gelassen wieder auf und
sprach: „Mir ist nach Wunsche geschehen und für ein großes Glück ein
kleiner Unfall widerfahren."
Nachdem die Stadt ausgeplündert war, schritt Camillus zur Erfül-
lung seiner Gelübde und traf Veranstaltung, die Bildsäule der Juno
nach Rom zu schaffen. Zu diesem feierlichen Geschäfte wurden die
schönsten Jünglinge aus dem ganzen Heere erlesen und verordnet. Diese,
nachdem sie sich gebadet und ein weißes Gewand angelegt, betraten
ehrerbietig den Tempel und legten mit frommer Scheu die Hände an.
Es wurde erzählt, einer der Jünglinge habe hierbei, ob aus göttlicher
Eingebung oder treuherzigem Scherz, die Worte ausgestoßen: „Willst
du mit nach Rom kommen, Juno?" und seine Genossen betheuerten,
sie hätten deutlich wahrgenommen, wie die Göttin bejahend zuge-
nickt habe.
Dies war der Untergang Veji's, der reichsten Stadt des etrurischen
Volkes, welche ihre Macht auch noch im Erliegen damit bezeugte, daß
sie während ihrer zehnjährigen ununterbrochenen Einschließung fast mehr
Niederlagen veranlaßt als erlitten hatte, und zuletzt, als ihr vom Schick-
sal bestimmtes Ende herangekommen, nur der Kunst und List, nicht der
Gewalt unterlag.
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